Die Kunst der Mauer
20. Juni 2010
Friedhöfe sind keine alltägliche Bauaufgabe. Mit steigender Flächenknappheit wird diesem wichtigen Teil einer urbanen Kultur nun aber immer größere Aufmerksamkeit zuteil. Es gilt, kontemplative Stimmungen auf immer engerem Raum zu evozieren. Reinhard Drexel zeigt, dass diese räumliche Konzentration dem Ziel nicht entgegensteht, sondern sogar zugute kommt.
Noch nicht belegt und doch nicht leer: temporäre Elemente der Friedhofserweiterung
Die letzten Dinge sind ewig. Denkt man. Aber selbst Begräbnisrituale sind dem zeitlichen Wandel unterworfen. Die europäische Geschichte hat vom Erdgrab bis zur Feuerbestattung und von der räumlichen Distanzierung vor der Stadt bis zum Leben neben den Toten im Ortskern eine große Vielfalt des Umgangs mit den Verblichenen hervorgebracht. Ebenso vielfältig sind die Gründe für diese verschiedenartigen Sitten. Platzmangel und Hygieneerwägungen spielen bei der Positionierung der Friedhöfe vor den Stadttoren eine Rolle, emotionale und religiöse Aspekte bei der Lage rund um die Dorfkirche im Ortskern. Die alten Römer errichteten ihre Grabmäler entlang der Landstraße außerhalb der Stadtmauern, die Christen rund um ihre zentral gelegenen Sakralbauten. In der städtebaulichen Realität Mitteleuropas verliert jedoch die Lage zusehends an inhaltlicher Bedeutung, denn in jedem Fall bilden Friedhöfe heute zunehmend rarer werdende grüne Inseln innerhalb eines immer dichter werdenden Siedlungsteppichs. Ob in ihrer Mitte nun eine Kirche steht oder nicht. Aber es liegt nun einmal in der Natur des Themas, dass die Standortfragen emotional diskutiert werden.
Die Mauer formt erste Stadträume in einem typischen Voralberger Dorf.
Auch im Vorarlberger Dorf Fussach, das direkt an der Mündung des Rheins in den Bodensee liegt und fast 4.000 Einwohner zählt, entwickelte sich über die Lage der nötig gewordenen Friedhofserweiterung eine engagierte Debatte. Die Flächen sind begrenzt, östlich bildet der Rheinfluss eine Barriere und westlich schließt das Naturschutzgebiet des Rheinspitzes an das bebaute Gemeindegebiet an. Neben diesen Einschränkungen war für die Lage-Entscheidung wohl auch der Aspekt einer drohenden Aufteilung der Bestattungen auf zwei Standorte relevant. Schließlich gab also die Gemeinde der Kernverdichtung den Vorzug gegenüber der Hoffnung einer freieren Gestaltungsmöglichkeit im grünen Umland. Aber die Versuchung war groß, denn die berühmten Beispiele künstlerisch anspruchsvoll gestalteter Friedhofsanlagen des vergangenen Jahrhunderts liegen meist vor der Stadt – sei es Carlo Scarpas Komplex der Familie Brion in San Vito d’Altivole oder Aldo Rossis Friedhof San Cataldo bei Modena.
Balance auf Säulchen: Überdachung an der Innenseite der Anlage
Reinhard Drexels Lösung des Problems ist ausgesprochen intelligent und liefert gleich auf mehreren Ebenen funktionale und stadträumliche Zugewinne. Am auffälligsten ist natürlich die Einfassung der neuen Flächen neben dem alten Friedhof mit einer sanft geschwungenen, subtil gestockten Betonmauer. Sie schafft jene kontemplative Orientierung auf den Innenraum, die für die erwünschte Stimmung eines Friedhofs so wichtig ist, die aber dennoch so selten realisiert wird – meist gibt es bloß eine Umfassung mit einem banalen Zaun oder ebenso banalen Heckengewächsen. Die neue Wand beginnt in Fussach als erstes Gestaltungselement im öffentlichen Raum mit der so notwendigen Formung und Gliederung des unsäglichen Zwischenraums rund um die hingestreuten Brocken der Einfamilienhäuser der typischen Vorarlberger Siedlungsstruktur. Stadträume beginnen sich nun erstmals um den Friedhof zu formen.
Bäume als zukünftige Schattenspender, Hecken als Gliederungselemente
Doch damit nicht genug: Die Mauer ist auch Witterungsschutz, Memorialträger und eine subtile, fast textil wirkende Tapete des Friedhofs-Innenraums. Der Witterungsschutz besteht aus einer simplen Dachplatte, die auf einigen Stützen über der Mauer schwebt und auf ihrer Innenseite eine geschützte Zone bildet – konstruktiv eine beachtliche Leistung. Dem Totengedenken wird durch Maueröffnungen, die durch eine spezielle Steckschalung hergestellt wurden, eine Art Kleinbühne geboten. Auf der Außenseite sind diese Öffnungen mit Kathedralglasscheiben abgedeckt, innen können Marmorrahmen mit eingravierter Schrift vorgeblendet werden. In der Wandnische selbst ist schließlich Raum für Blumenvasen und Kerzen. Die intime, textile Wirkung der Betonmauer entsteht durch Zuschlagstoffe, Einfärbung und Oberflächenbearbeitung dieser Wand. (…)
Den vollständigen Beitrag und weitere Bilder finden Sie in architektur.aktuell
Matthias Boeckl
Lageplan
Grundriss Bestand und Erweiterung
Schnitt
Friedhofserweiterung
2007
Ortszentrum Fussach
Österreich
Bauherr
Gemeinde Fußach
Immobilienverwaltungs GmbH & Co KEG
Planung / Projektleitung
Reinhard Drexel
Mitarbeiter
Eveline Drexel
Meinrad Welte
Sabine Schneider-Birkel
Michael Allgäuer
Statik
Dipl. Ing. Gerhard Moser
Hard
Mauerwerk
Zimmermann Bau GmbH
Bregenz
Fenster / Türen
Sternath GmbH
Hard
Schlosser
Simeoni Metallbau GmbH
Andelsbuch
Industriespengler
m.köb gmbH
Kennelbach
Glaser
Längle Glas GmbH
Götzis
Trockenbau
Günter Immler Holzbau
Fußach
Elektroinstallationen
Horvath Elektrotechnik GmbH
Fußach
Gartenanlagen
Loacker Sport + Gartenbau GmbH
Koblach
Grundstücksfläche
1.877 m2
Friedhofserweiterung
ca. 1.075 m2
Nutzfläche/Infrastrukturbereich
26 m2
Bebaute Fläche
315 m2
Umbauter Raum / Infrastrukturbereich
120 m3
Planungsbeginn / Wettbewerb
2002
Baubeginn
2006
Baukosten/netto
780.000,– EUR
Fotos
Reinhard Drexel