The house after the Big Bang
Das Haus nach dem Urknall
2. October 2009
While anything but uninspired, the single-family house that Albert Ortis and Reinhold Weichlbauer have built in Laufnitzdorf is a clear departure from conventional notions about inspiration.
Fenster: Ein Format genügt
Fotos: Peter Eder
Architektonische Innovationen sind bei privaten Bauprojekten wesentlich leichter umzusetzen als bei öffentlichen. Zumindest wenn der Bauherr mutig genug ist, sich auf ein Experiment einzulassen, nicht jeden Keim an Neuerung gleich unter Vorurteilen zu ersticken droht. In Laufnitzdorf haben WEIchlbauer ORTis ein Einfamilienhaus geplant, das diese Vermutung einmal mehr und noch dazu besonders deutlich bestätigt. Und sie haben es für Bauherren gebaut, die zwar Bauern (mit drei Kindern) sind, entgegen allen sprichwörtlichen Zuschreibungen aber keinerlei Skepsis dem Neuen gegenüber haben. Deren Vorgaben haben sich neben dem Budgetrahmen darauf beschränkt, einen Grundriss einzufordern, der allen Familienmitgliedern abschließbare Wohnbereiche garantieren kann.
Die Treppe als Stütze
Geworden ist daraus ein Haus, das mindestens zwei Sprachen spricht. Sein Inneres ist zwar in zahlreichen, großflächigen Eckverglasungen licht und frei nach draußen orientiert, spult sonst aber tatsächlich ein tradierten Vorstellungen von Wohnen verpflichtetes Raumprogramm ab: das Kellergeschoß fungiert als Eingangsbereich, als Schmutzschleuse und inkludiert auch Abstellräume und eine Käserei, das Erdgeschoß ist als Gemeinschaftsebene mit Küche, Essdiele, Wohnzimmer und Terrasse ausgestattet, darüber liegen die Kinderzimmer und das Elternschlafzimmer. Die drei Ebenen setzen sich aus einander recht ähnlichen, zueinander aber leicht verdrehten Einheiten zusammen, deren Kubaturen einen abgetreppten, insgesamt alles andere als orthogonalen Baukörper bilden.
Duchamp'sche Dislokationen
Außen ist dieser mit Kunstrasen überzogen, der die Kanten des Gefüges dämpft, ihm ein weich gezeichnetes Erscheinungsbild verleiht, das kontrapunktisch jene Elemente unterstreicht, die für die größten Irritationen sorgen: scharfkantige Fensterelemente aus weißem Kunststoff, die ihrem ursprünglichen Verwendungsort verlassen haben, aus dem Wandzusammenhang getreten sind, nun quer gelegt den eigentlichen Fenster vorgeblendet sind und hier als Brüstungen fungieren. Und Betontreppen, die den Baukörper wie zufällig abgestellte, noch nicht an ihren Platz gebrachte Versatzstücke begleiten, dabei jedoch auch nie ganz funktionslos oder rein poetisch sind, sondern als Sichtschutz dienen, die waghalsigsten Auskragungen abstützen, dem Rauchfangkehrer Aufstieghilfe und den Bewohnern jede Menge Abstellflächen für Klein- und Spielkram bieten.
Die Treppe als Stütze
Sehr bald wird deutlich, dass das innovative Potential der Architektur von WEIchlbauer ORTis nicht in den Formen selbst begründet liegt, sich nicht aus der konkreten Gestaltung der einzelnen, zum Baugefüge zusammengestellten Elemente ergibt. Die verbauten Kunststofffenster etwa sind überall dieselben und stammen, so wie sie sind, direkt aus dem Katalog. Dasselbe gilt für die Böden, Türen, Handläufe – letztere sind eigentlich Fensterprofile. Selbst eine Fassade mit Kunstrasen zu überziehen, ist streng genommen nichts Neues. Man denke nur an das Haus Amalia in Kirchbach der GRID-Architekten (architektur.aktuell 3/2009). Die Kreativität von WEIchlbauer ORTis liegt weit eher in der Neuordnung des Vorgefertigten, ergibt sich also daraus, dass die sonst banalen Standard-Elemente ihre traditionellen Orte verlassen haben, und also an denkbar unerwarteten Stellen zum Einsatz kommen.
Zwischen Vieh und Geschichte: Bestens integriert
Den vollständigen Beitrag und weitere Bilder finden Sie in architektur.aktuell
Diese Dislokationen, welche die Architekten selbst in der Tradition Duchampscher Ready-mades sehen, ergeben sich notwendig aus der Art, wie WEIchlbauer ORTis planen. Für ihren Entwurfsprozess gilt dasselbe wie fürs Universum: Am Anfang steht der Urknall. Es explodieren darin am Computer alle Elemente, die in den früheren Projekten der Architekten jemals verwendet wurden. In Anlehnung an die Profession der Bauherren sprechen WEIchlbauer ORTis von einem „digitalen Komposthaufen“, der dann – unter Rückgriff auf diverse Zahlenwerte, wie etwa die eigenen Cholesterinwerte – in einer Art digitalen Häcksler durcheinander gewirbelt und dabei neu geordnet werden, bevor sich die Architekten in das Material hineinzoomen, aus der Masse an durcheinander geratenen Formen selektieren, manches der Klarheit wegen neu positionieren, manipulieren, um so ihre Figurationen zu gewinnen. So gesehen liegt der kreative Mehrwert ihres Tuns in einem Datenüberschuss begründet, geht auf Verfahren zurück, welche die Architekten zwar von vornherein gewählt haben, die sie aber im Detail erst spät beeinflussen. Die Grundidee, welcher die Form des Gebäudes letztlich folgt, und die schließlich zur Verwendung eines Bodenbelags als Fassade, eines Fensters als Geländer, einer Stiege als Stütze, Träger, Vordach oder Paravent führte, entstammt nicht ihren Köpfen, sondern den von ihnen ausgewählten Algorithmen. (…)
Ulrich Tragatschnig
surplus value_01
2008
Frohnleiten / Österreich
Laufnitzdorf 17
Bauherr
Fam. Reisinger
Planung
WEIchlbauer ORTis Architekten
Projektleitung
WEIchlbauer ORTis Architekten
Bauphysik
Technisches Büro
Ing. Bernhard Hammer GmbH
Graz
Statik
Dipl. Ing. Peter Connert
Graz
Fassaden/Dach
Lenzing Plastics GmbH
Lenzing
Mauerwerk
Ortis BauGmbH
Frohnleiten
Fenster
Dr. Maitz GmbH
Graz
Türen
Schachermayer GmbH
Graz
Elektroinstallationen
Auer, Schrems bei Frohnleiten
Heizung/Lüftung/Klima/Sanitär
Schaffler
Frohnleiten
Böden
Krempl
Gratwein
Möbel
Prödl
Kirchberg/Raab
Glaser
Mauerhofer
Graz
Maler
Rumpl
Frohnleiten
Grundstücksfläche
2.582 m2
Nutzfläche
207 m2
Bebaute Fläche
121 m2
Umbauter Raum
745 m3
Planungsbeginn
2004
Baubeginn
2008
Fertigstellung
2008
Baukosten
379.068,- EUR
Kosten pro m2
1.831,- EUR